Vortrag von Dr. Manfred Böcker:
„Die Auslöschung. Eine Landgemeinde verschwindet. Epe 1933 – 1945.“
Erst ganz zum Schluss der Generalversammlung des Heimatvereins Epe rückte Wilhelm Kemper mit der Idee eines neuen Projekts heraus: Der Heimatverein Epe plant mit dem Künstler Michael Franke („Lernende“ vor dem Amtshaus) vom Niederrhein ein sog. Stadtmodell von Epe. Vergleichbare Modelle gebe es schon in verschiedenen Städten. Das aus Bronze gefertigte Objekt soll in Epe aufgestellt werden und den Ortskern verschönern und bereichern. Kemper: „Bis zur Fertigstellung liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Damit alles als ein taugliches Objekt in der Planung fertig ist, muss noch recherchiert, geprüft und verglichen werden. Zwischen Ortskundigen und Künstler sind mehrere Abstimmungsgespräche nötig. Damit auch die Finanzierung eines solchen Kunstwerkes gelingt, müssen viele Gespräche mit Geldgebern und Einrichtungen erfolgen.“ Wilhelm Kemper ist zuversichtlich, dass es in absehbarer Zeit zu einer Verwirklichung dieses Projektes kommt.
Da in der Mitgliederversammlung bei Bügener keine gewöhnlich langwierigen Wahlen zum Vorstand anlagen, konnte Wilhelm Kemper die notwendigen Formalien der Sitzung schnell durchführen lassen. Dazu zählten der ausgezeichnete Bericht des Geschäftsführers Günther Verst mit einem guten Ergebnis für die Kasse ebenso wie der bewährte von Nanni Frieler vorgetragene Rückblick der Veranstaltungen des jetzigen Geschäftsjahres. Mit den Entlastungen für Geschäftsführer und Vorstand endete somit auch der erste Teil der Veranstaltung.
Den zeitlich längeren und bedeutenderen Teil der Mitgliederversammlung nahm der Vortrag von Dr. Böcker ein. Dr. Manfred Böcker, gebürtiger Eperaner, studierter Historiker und Unternehmensberater aus Köln, ließ die Jahre in Epe von 1932 – 1945 anhand einer PowerPoint Repräsentation Revue passieren. Er begann seine Ausführungen mit einem gesellschaftlichen Ereignis in Epe im Jahr 1932. Eperaner Juden feierten das 25-jährige Bestehen der Synagoge. Sie hatten dazu die Prominenz aus Kirche und Gesellschaft, u.a. Pastor Essfeld („Der weitaus größte Teil der katholische Bevölkerung stünde trotz der gegenwärtigen Judenhetze der jüdischen Gemeinschaft sympathisch gegenüber“[1]) und Bürgermeister Dörrenkamp („Die jüdischen Gemeindemitglieder seien stets wertvolle und aufbauwillige Glieder der Bevölkerung gewesen und er freue sich, dass die kleine Gemeinde eine solche Feier begehen könne“[2]) und den Rabbiner Dr. Köhler aus Borken nach Epe eingeladen. Die damals gehaltenen Reden sind im Israelitischen Familienblatt kommentiert und geben gut darüber etwas wieder, wie sich die Situation in Epe 1932 darstellt. Scheinbar existiert in Epe noch die „fast heile Welt“ und zum Schluss der Veranstaltung zum silbernen Jubiläum der Synagoge spricht der Rabbiner „ein Gebet für das Vaterland!“
Doch schon 1933 mit Hitlers Machtergreifung wird „ein schwarzes Dorf braun“. Eher schleichend, aber doch am Ende offensichtlich, werden Juden diskriminiert und aus der Gemeinschaft der ehemals Vertrauten ausgeschlossen[3]. Obwohl viele ältere Juden noch als deutsche Soldaten [ET1] im ersten Weltkrieg gewesen waren, werden sie aus dem Kriegerverein verbannt; jüdische Metzger werden verdächtigt, „Würmer in Schinken“ zu verkaufen; Juden dürfen keinen Rechtsanwalt mehr nehmen; mehr und mehr werden sie aus Berufen herausgedrängt, so dass ihr Geld kaum zum Broterwerb reicht. Schon 1935 kommt es in Epe zu einem antisemitischen Beschluss des Gemeinderates:
- „Kein Jude kann in Epe Eigentümer werden.
- Die Benutzung öffentlicher, gemeinnütziger Anstalten jeder Art ist den Juden verboten.
- Gemeindemitglieder bzw. deren Angehörige, die beim Juden kaufen, und Judenfreunde, erhalten keine Aufträge von Seiten der Gemeinde;
- Sämtlichen Beamten und Angestellten ist der Verkehr mit Juden schärfstens untersagt;
- Es werden fernerhin in nächster Zeit an sämtlichen Ortseingängen der Gemeinde Epe Schilder und Transparente aufgestellt, worin darauf hingewiesen wird, dass in Epe die Juden durchaus unerwünscht sind. (lebhafter Beifall)“[4]
1938 kommt es dann auch zu körperlicher Gewalt gegen jüdische Männer, Frauen und Kinder. Der Referent fasst in seinem Vortrag die Gewaltexzesse von den zentral befohlenen Gewaltaktionen landesweit bis zum Brand der Synagoge an der Wilhelmstraße in Epe eindrucksvoll zusammen.
Es werden viele ehemals jüdische Immobilien kostengünstig angeboten. Sie stammen von Juden, die verschleppt worden waren oder es nicht rechtzeitig geschafft hatten, sich ins Ausland abzusetzen. Dabei war es gar nicht so einfach z.B. in die Niederlande zu emigrieren, weil sie eine sehr restriktive Ausländerpolitik betrieben. Die Juden werden verschleppt und gelangen auf verschlungenen Wegen in Auschwitz, in Treblinka oder in ein anderes Vernichtungslager. „Von den 40 im Jahre 1933 in Epe lebenden Juden sind im Jahre 1945 29 tot!“ Auf die Frage eines Zuhörers, warum Böcker keine schuldigen Eperaner beim Namen nenne, hat der Referent eine überraschende aber einleuchtenden Antwort: Zum einen komme er ggfls. mit dem Datenschutz in Konflikt; zum anderen sei er sich auch nicht mehr so sicher, ob das Namennennen eines Schuldigen letztlich der richtige Weg sei. Alle Schuldigen seien tot; sie können nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden; von Namensnennungen würden die Nachfahren gleichen Namens getroffen – und diese sei allemal unschuldig, Sie müssten für ihre Eltern und Großeltern büßen.
Am Ende seiner kurzweiligen und beeindruckenden Ausführungen gab Dr. Böcker ein Resümee: „Jeder halbwegs nüchterne Mensch muss ein politisches System mit den Augen der Toten betrachten.“ (Arno Geiger). Für den interessierten Zuhörer war gut erkennbar, wie schnell und wie schrecklich sich Einstellungen zum politische System ändern und wie schnell demokratische Strukturen sich in diktatorische verwandeln können. Und so etwas geschehe nicht irgendwo und weit weg – sondern hier in unserem Epe. In dreizehn Jahren war am Ende ein ganzes Land, ein ganzer Kontinent in Schutt und Asche gelegt. Noch 70 Jahre danach bleibt ein Trauma und es gibt Wunden und menschliches Leid, das nicht versiegt.
[1] Israelitisches Familienblatt 8. November 1932
[2] Israelitisches Familienblatt 8. November 1932
[3] Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung des Eperaner Kriegervereins vom 31.5.33, Heimatverein Epe
[4] Gronauer Nachrichten 17.8.1935
[ET1]„alte Kämpfer“ sind Nationalsozialisten der ersten Stunde – wie der Bürgermeister Reinbrecht zum Beispiel…