Die gewonnene Gans

Beim Klemensmarkt in Nienborg begann ein Abenteuer

Diese Geschichte ist unserem Heimatfreund Josef Pieper so oder so ähnlich passiert. Er hat sie in den Westfälischen Nachrichten zum ersten Mal veröffentlicht.

Nennen wir ihn Jupp.

Er wohnte schon seit vielen Jahren im benachbarten Epe und kam immer wieder gerne in seine frühere Heimat. Jedes Mal zum Klemensmarkt machte er sich mit Freunden des Heimatvereins auf den Radweg, um im Hugenroth-Haus auf der Burg Rosinenbrot mit Mettwurst zu essen. Früher war es schon mal vorgekommen, dass einzelne Eper Gäste nach dem Markt bei Nonhoff oder Wissing hängen geblieben waren. Doch diese Zeiten waren längst vorbei – schließlich hatten Jupp und seine Freunde das siebzigste Lebensjahr überschritten und waren froh, wenn sie wieder heil in Epe angekommen waren.

Sie trafen sich zur Fahrt nach Epe immer an der St. Katharinen Kapelle in Epe. Ihre Fahrräder stellten sie dann in Nieborg an der Mühle ab. Der sitzende Advena gegenüber würde schon aufpassen, dass ihre E – Bikes nicht geklaut würden; schließlich ketteten sie die wertvollen Räder am Gelände des Kolks an der Mühle an. Sie schlenderten an den Verkaufsständen auf der Burg vorbei. Franz kaufte – wie jedes Jahr – eine große Menge Schuhputzcreme in Dosen. Andere Mitfahrer hielten sich bei den Krämer-Läden eher zurück. Wie jedes Jahr kam Jupp mit den Eper Freunden nun an der Hütte vor dem Hugenroth-Haus vorbei. In einer behelfsmäßig aufgebauten Plastikhütte saß Bernd, den Jupp von früher kannte. Er rief den Eperanern zu, doch rüber zu kommen, um gegen einen Obolus von 1 € das Gewicht der lebendigen Gans zu schätzen. Im günstigsten Fall wäre Jupp dann der Gewinner der Gans und könne er sich ein festliches Mahl bereiten lassen. Jupp schaute der unter dem Tisch in einem billigen Karton kauernden Gans in die Augen und schrieb eher unbedacht eine Zahl in Kilogramm und Gramm auf eine bereitliegende Liste. Zu diesem Zeitpunkt waren es noch gar nicht so viele Schätzer gewesen. Vielleicht gewinnt man ja doch einmal! Man weiß ja nie, sagte Jupp zu Heinz, ohne an das Schätzglück wirklich zu glauben.

Im Hugenroth-Haus saßen sie schon alle. Ein ganzer Tisch war mit Frauen und Männern aus Epe besetzt. Ein Geraune und Geklappere ging durch den freundlich geschmückten Saal des Nienborger Heimatvereins. Die Brote wurden auch diesmal reichlich mit Mettwurst begelegt. Erstaunlich, wie viel Wurst man auf eine Scheibe Brot unterbringen kann, dachte Jupp, als er gerade einen bekannten Heeker erblickte.  Zu den Eperanern gesellten sich mehr und mehr Nienborger Heimatfreunde. Werner, der neue Vorsitzende des Vereins war ebenso dabei wie Hubert, der ehemalige Gemeindedirektor des Ortes. Wie in jedem Jahr kamen sie ins Gespräch, versicherten sich ihrer Verbundenheit und vereinbarten, sich jetzt auch in den Heimathäusern in Epe und Nienborg zu besuchen.

Als nun Jupps Freunde und er ziemlich gesättigt waren von dem wunderbaren Rosinenbrot mit Mettwurst, verabschiedeten sich die Eperaner. Schließlich wollten sie noch über den Markt auf der Burg nachsehen, was es noch zu ergattern gab. Auffällig diesmal ein Institut, das sich auf Plakaten und Handzetteln mit Beerdigungen beschäftigte. Für uns Besucher aus Epe waren die verteilten Prospekte über ein würdiges Begräbnis nicht unbedingt ein Anziehungspunkt. Und so verabschiedeten wir uns – vor allem von Werner, dem Vorsitzenden. Irgendwie erkannte Jupp in Werners Gesicht ein verschmitztes  Grinsen. Jupp verdrängte jedoch diesen vermutlich zufälligen Eindruck und so machten sie sich von der Mühle aus vergnügt auf den Heimweg. Franz verstaute ziemlich umständlich seine vielen Dosen Schuhputzcreme in seine viel zu kleine Fahrradtasche. Da waren nun alle wieder da: Franz und Josef, Josef und Heinz, Maria und Maria und Marianne und natürlich Jupp. Sie erreichten zügig über den Eper Damm Epe und waren rechtzeitig zum Mittagschlaf wieder zu Hause.

Der Weckruf war schon heftig und laut. Wenigstens kam es Jupp so vor. „Hier ist Werner aus Nienborg am Telefon; er will dir eine frohe Nachricht übermitteln!“ rief Jupps Frau und gab ihm den Hörer: „Jupp, du hast die Gans gewonnen! Du musst gleich kommen und sie abholen.“ Mehr sagte Werner am Telefon nicht. Jupp legte verdattert den Hörer auf.

Und nun? „Die Gans ist bestimmt geschlachtet und du kannst sie bratfertig mitnehmen“, beruhigte Jupps Frau ihren Jupp.  Das wäre ja ganz schön und es könnte am Wochenende das Lieblingsgericht geben! „Gans mit Rotkohl und Bratkartoffeln.“ Jupp lief schon die Spucke im Mund zusammen und er drückte auf die Tube. „Und was mache ich, wenn  die Gans noch lebendig im Karton hockt?“ grübelte Jupp. Hatte das Grinsen des Vorsitzenden Nacke doch eine Bedeutung?!

Es kam, wie es kommen musste. Natürlich war die Gans noch unter den Lebenden. Bernd beruhigte jedoch sofort. Für das Schlachten aber kenne man jemanden in Wichum. Bernd wusste zwar nicht,  wie der heißt, aber wenn Jupp an der Biegung gerade ausfahre, und dann rechts…. …. Die letzten Worte von Werner und Bernd aus Nienborg hatte Jupp schon gar nicht mehr verstanden. Und so suchte er den Schlachter, den es ja in dieser Gegend geben solle. Er fand ihn trotz des ganzen Gekurves nicht und so fuhr Jupp erst mal nach Hause zu seiner Frau. Vielleicht wusste die ja eine Lösung für die Gans.

Doch Jupps Frau war ebenso ratlos. Und so ging`s erst mal ans Telefonieren. Schließlich müsste man ja einen Schlachter in Epe oder der weiteren Umgebung finden! Doch dem war nicht so! Der erste mögliche Schlachter hatte seine erlernte Tätigkeit wegen Krankheit aufgegeben; der zweite durfte nicht mehr schlachten, weil ihm ein notwendiges europäisches Zertifikat fehlte; der dritte schlachtete nicht mehr, weil er eine Anzeige erhalten hatte wegen Unprofessionalität, der vierte Schlachter gäbe sich mit nur einer Ganz zum Schlachten nicht zufrieden. Das müsste schon mehr als ein Dutzend sein! Jupp und seine Frau waren der Verzweiflung nahe. Wohin nun mit der Gans?  Schließlich wollte man er ja auch kein Tierquäler sein. Jupp versorgte in der Garage die Gans mit Futter, mit einem neuen frischen großen Karton und mit Wasser. Wenigstens für eine Nacht solle sie es in der Garage gut haben. Morgen werde man eine Lösung finden:

Doch nun überschlugen sich die Ereignisse: „Heinz von der Schillerstraße würde der Gans vorübergehend Asyl im Hühnerstall gewähren“, ließ er am Telefon mitteilen. „Wenn er den Zaun ein wenig verrücke, könnte die Gans auf der Wiese frei laufen“. Ohne lange zu zögern brachte Jupp die Gans zu Heinz. Der packte der Gans ganz professionell unter die Flügel und bugsierte sie auf seine Hühnerwiese. Zunächst betrachteten die Hühner den plötzlichen Gast eher abweisend, ließen die Gans aber unbehelligt. Sie stolzierten um die Gans herum und machten deutlich, wer hier Herr bei Heinz im Hühnerstall ist.

 „Gut, dass es den Draht zwischen den beiden Gruppen gibt; sonst würden die Hühner sicher die Gans behacken.“ Jupp war beruhigt. Die Gans war nun sicher untergebracht; vom erhofften Festmahl war jedoch Jupp noch weit entfernt. Oder doch nicht?

In der Zwischenzeit hatte nämlich Martha, die Frau von Heinz eine Schlachterei in Südlohn ausfindig gemacht. Im Gegensatz zu anderen Schlachtereien beförderte der Mann in Südlohn auch einzelne Gänse vom Leben zum Tod. Allerdings – Jupp müsse schon anderntags um 7 Uhr am Morgen vor Ort sein.

Die Rettung nahte. Obwohl Südlohn ja auch nicht vor der Tür liegt, kam Jupp keine Minute zu spät. Schließlich löste sich hier ein echtes Problem. Kurzer Hand nahm sich der Schlachter die Gans und beförderte sie in Minutenschnelle in den Tod. Er rupfte sie in einer Maschine und legte sie – völlig frei von Federn – fein säuberlich in eine Wanne. Hals und Herz wollte Jupp nicht. Jupp konnte es am Ende nicht mit ansehen, was da geschah. Schließlich hatte Jupp  sich schon fast an den Gedanken gewöhnt, die Gans könne bei Heinz im Hühnerstall ein erfülltes Leben genießen – zwischen all den Hühnern. Heinz Enkel hätten das auch gut gefunden, wie Martha berichtete – schließlich waren sie schon dabei gewesen, der Asyl-Gans einen Namen zu geben.  

Dazu kam es ja nun nicht mehr. Die gewonnene Gans kam in Jupps Topf. Jupps Frau hatte sie, wie einst erhofft, zu einem Festmahl zubereitet.

jopi10/22